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Kalkulative Praktiken in der Frühen Neuzeit - Kulturtechniken und calculative turn (Projektskizze)

Ab-rechnen, zählen, wiegen, messen, schätzen – kalkulative Praktiken sind und waren Bestandteile alltäglicher Handlungen, eingebettet in ein kontextabhängiges Vollzugsgeschehen, das soziale Interaktionen unter Anwendung bestimmter formeller oder informeller Regeln – wie etwa kollektiver Wissensordnungen, körperlicher Aktivitäten, materieller Bedingungen – evoziert(e).


Während Lesen und Schreiben als basale Kulturtechniken bereits seit Langem Aufmerksamkeit in der historischen Forschung erfahren, haben sich – abgesehen von der Architektur- und Baugeschichte – erstaunlich wenige Studien explizit mit den Praktiken des Rechnens, Zählens, Messens, Wiegens oder Schätzens auseinandergesetzt. In welchen Kontexten diese Praktiken wie von wem angewandt wurden, welche Bedeutung ihnen zugeschrieben wurde, welche individuellen oder übergeordneten Zielsetzungen damit in welchen Situationen verbunden waren und wie sich dadurch neue Perspektiven auf eine Mikrogeschichte der Machtbeziehungen in der vormodernen Gesellschaft gewinnen lassen, möchte das Projekt – in Erweiterung zu bereits erarbeiteten Befunden aus dem Spätmittelalter – aufzeigen.

Im Rahmen von geographisch und zeitlich weit gestreuten Fallstudien in der Frühen Neuzeit dienen die in Rechnungsbüchern, administrativem Schriftgut, Gerichts- und Handelsakten empirisch fassbaren kalkulativen Praktiken wie abrechnen, zählen, messen, wiegen oder schätzen als Kristallisationspunkte ökonomischer, rechtlicher und herrschaftspolitischer Beziehungsgefüge. Hier gilt es zu differenzieren durch wen wann wie welche Praktik explizit Anwendung fand und deutlich zu machen welche Prozesse und Verfahren hinter den Praktiken standen, um ein „accounting in action and in context“ herauszuarbeiten und der scheinbaren Objektivität von Zahlen und Summen ihr Gewordensein zu unterlegen.


Basierend auf einem praxeologischen Zugriff wird im Projekt gezeigt, welche Handlungsmuster in verschiedenen sozialen Kontexten durch den fokussierten Blick auf kalkulative Praktiken empirisch greifbar sind, wie sich durch das (gemeinsame) Schätzen, Zählen und Ab-Rechnen, Messen und Wiegen Handlungsoptionen ergaben und welche Veränderungen hinsichtlich einer kulturellen Praxis des Wirtschaftens damit verbunden waren. Im Spannungsfeld von normativen Vorgaben und praktischer Aneignung kalkulativer Praktiken eröffnet sich ein Blick auf individuelle und kollektive Handlungs- und Ausgestaltungsspielräume der vormodernen Gesellschaft und ein Plädoyer dafür, sich vermehrt „Kulturtechnik[en] (…) d[es] Zahlengebrauch[s]“ (Ludolf Kuchenbuch 2012) zu widmen.